In Iran wird die religiöse Minderheit der Sufis verfolgt
Die Derwische auslöschen
In der Außenpolitik kann der Aufruhr nicht groß genug sein, den der Regierungschef Mahmud Ahmadineschad mit seinen Drohungen vor allem gegen Israel verursacht. Wie er gegen seine Gegner im Innern vorgeht hingegen, darüber sucht das Regime den Mantel des Schweigens zu breiten. So auch über einen Angriff auf eine Sufi-Gemeinde, der sich am vergangenen Wochenende in der Stadt Borujerd ereignet hat, die im Südwesten des Landes liegt, etwas mehr als dreihundert Kilometer von der Hauptstadt Teheran entfernt.
Aus offiziellen und halboffiziellen Quellen heißt es, die Sufis hätten sich eine gewalttätige Auseinandersetzung mit einer nahegelegenen schiitischen Gemeinde geliefert, deren Prediger die Schließung des Sufi-Gotteshauses gefordert habe. Die Sufis hätten den jetzigen Gewaltausbruch provoziert. Bestätigt wird, dass Schüsse fielen, rund achtzig Menschen verletzt und mehrere hundert Sufis festgenommen wurden. Ihre Gebetsstätte wurde mindestens zu großen Teilen zerstört.
Nach den Worten des in Paris lebenden Sufi-Meisters Sayed Mustafa Azmayesh aber verhielten sich die Dinge anders: Rund fünfhundert Anhänger der radikalen Basiji-Miliz und der Revolutionsgarden hätten den Versammlungsort der Sufis belagert, die örtliche Polizei habe sich zunächst zwischen die Kontrahenten gestellt, dann aber die Sufis aufgefordert, ihre Gemeinderäume zu verlassen. Bis Mitternacht des vergangenen Sonntags habe man ihnen Zeit gelassen zu weichen. Dann habe die Polizei das Gebäude gestürmt, mit Molotowcocktails sei es in Brand gesetzt und schließlich mit Bulldozern eingeebnet worden. Seit Monaten sei gegen die Sufis in Borujerd Stimmung gemacht worden, in Zeitungen und von Predigern in Moscheen. Und dies sei kein Einzelfall, in der Stadt Karadsch bahne sich gerade eine Wiederholung des Geschehens an.
Die Vorgänge erinnern an den April 2006, in dem in der Stadt Qom eine Gebetsstätte der Sufis in Brand gesetzt und rund 1200 Derwische - Anhänger der islamischen Gemeinschaft - aus der Stadt vertrieben und auf zehn Jahre verbannt wurden. Damals gab es ein kritisches internationales Echo auch in islamischen Ländern, das man nun offenbar zu verhindern trachtet. Nach den Worten von Sayed Mustafa Azmayesh handelt es sich hierbei um ganz offizielle Politik, die Basiji-Miliz werde jeweils vorgeschickt, um eine Sufi-Versammlungsstätte nach der anderen zu vernichten, dann komme die Polizei und gebe vor, sie werde der Angriffe nicht Herr: "Es geht darum, die Derwische auszulöschen."
Die mystische Bewegung der Sufis stellt gerade wegen ihrer erklärten Friedensliebe und religiösen Toleranz eine innenpolitische Gefahr für das iranische Regime dar. Nach ihrem Verständnis gebietet der Koran Toleranz, Respekt vor anderen Religionen und den Schutz von Minderheiten. Sie bestreiten, dass sich aus dem Koran die Aufforderung zum "Dschihad", dem "Heiligen Krieg", ableiten lasse, den Muslime gegen die "Ungläubigen" zu führen hätten. Nach dem Verständnis der Sufis, die ihrerseits in viele Gemeinden zersplittert sind, findet der "Dschihad" allein als Kampf eines jeden Einzelnen um sein Seelenheil statt. Darin allein sei der direkte Weg zu Gott zu finden. Der Grundgedanke der Sufis ist der freie Mensch, womit sie sich von vornherein zu Gegnern totalitärer Regime machen, zumal solcher, die ihre Macht religiös begründen.
Die Sufis, die in der Stadt Borujerd angegriffen wurden, gehören dem sogenannten Nematollah-Orden an, der sich zu den Schiiten zählt. In den Augen der Regierungskleriker aber gelten die Sufis, ganz gleich, zu welcher großen Strömung im Islam sie sich bekennen, als unislamische Sekte und werden als "amerikanische" Muslime verhöhnt. Weil ihr Orden in Iran aber mit seiner weltoffenen Auslegung des Korans gerade in der letzten Zeit unter jungen Leuten und Intellektuellen zunehmend Anhänger findet, wird er für das Ajatollah-Regime, das für sich in Anspruch nimmt, in göttlicher Mission zu handeln, zur ideologischen Gefahr. Schließlich gilt es, die Meinungsführerschaft in der "Umma", der Gemeinschaft aller Menschen muslimischen Glaubens, ganz allein für sich zu behaupten, weltweit und vor allem im eigenen Land.
MICHAEL HANFELD
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Sonntagszeitung vom 14.11.2007, Seite 35
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